Dienstag, 22. März 2011

Gerechten Frieden ersehnen: Gedankenanstösse für einen ökumenischen Konsultationsprozess der Kirchen zur wirtschaftlichen und sozialen Situation in Deutschland


erstellt von der AG „Gerechter Frieden“ des Netzwerks MEET (Februar 2011)

1. Unsere Perspektive
·    Als ChristInnen, die kirchliches Leben in breiter ökumenischer Perspektive verstehen, beschäftigen uns die Fragen des gerechten und friedlichen Zusammenlebens vor Ort und in der Welt. Angesichts der aktuellen sozialen und wirtschaftlichen Situation ist es uns ein dringendes Anliegen, zu einem ökumenischen Konsultationsprozess der Kirchen in Deutschland anzuregen. Im ökumenischen Netzwerk MEET (More Ecumenical Empowerment Together) haben wir ein gemeinsames Forum gefunden, das auch Möglichkeiten bietet, zu diesem Prozess beizutragen. Im Folgenden haben wir erste Gedankenanstösse formuliert.
·    Wir sind betroffen davon, dass Brüder und Schwestern aus Partnerkirchen im Süden der Welt seit vielen Jahren Veränderungen im Prozess der neoliberalen Globalisierung anmahnen und auf die sozialen und ökologischen Schäden verweisen, die neoliberales Wirtschaften besonders in ihren Ländern anrichtet. In Deutschland nehmen wir die wachsende Kluft zwischen Arm und Reich verstärkt durch die Finanz- und Wirtschaftskrise wahr. Die Schäden einer durch nachlässige Regulierung der Finanzmärkte und durch Gier verursachten Krise werden z.B. durch soziale Sparmaßnahmen refinanziert, während die verursachenden Wirtschaftszweige bereits wieder Gewinne verbuchen können. Die heute zum Teil bereits umgesetzten Sparpläne der Bundesregierung vom Sommer 2010 lassen in keiner Weise eine „gerechte Teilhabe“ (vgl. Denkschrift des Rates der EKD zur Armut in Deutschland, 2006) der sozial am schwächsten gestellten MitbürgerInnen erkennen. In dieser Situation sind die Kirchen aufgerufen, in ökumenischer Zusammenarbeit ihr „Wächteramt“ in unserer Gesellschaft wahrzunehmen und mit klarer Stimme konkrete politische und wirtschaftliche Missstände zu benennen (vgl. den von MEET-Mitgliedern formulierten Aufruf im Juni 2010, siehe Anhang).
·    In der Auseinandersetzung über die Möglichkeiten kirchlichen Handelns anlässlich der Erinnerung an die friedliche Revolution 1989 sind wir auf einer Tagung des Netzwerkes MEET im November 2009 mit Gedanken und Texten der Ökumenischen Versammlung 1988/89 in Berührung gekommen. Diese haben uns eindrücklich die Zusammengehörigkeit der Themen des konziliaren Prozesses für Gerechtigkeit, Frieden und Bewahrung der Schöpfung vor Augen geführt und uns bestärkt diese für uns zu aktualisieren (vgl. „Brief an die Eltern“ im Anhang). Den hier angeregten Konsultationsprozess sehen wir auch im Horizont des noch nicht abgeschlossenen „Konziliaren Prozesses“.

2. „Gerechter Friede“ – das Leitbild für unsere Anliegen
Wirtschaftswachstum und Bruttoinlandsprodukt (BIP) eignen sich nicht als Indikatoren für Wohlstand. Ein wegweisendes Leitbild ist das des „gerechten Friedens“, wie es derzeit in der ökumenischen Gemeinschaft, vor allem im Prozess zur „Internationalen ökumenischen Friedenskonvokation“ des ÖRK (Mai 2011, Kingston, Jamaika), entwickelt wird. „Gerechter Frieden“ bedeutet, soziale, ökologische und wirtschaftliche Fragen zusammen zu denken und unter dem biblischen Schalom und der Versöhnung neu zu formulieren.
Der Weg zum „gerechten Frieden“ in unserer Gesellschaft ist nur im grenzüberschreitenden, globalen Zusammendenken des Schalom für alle zu denken. Diese Fragen sind national und durch sicherheitsfixierte Abgrenzung nicht lösbar. Sicherheit lässt sich nur als gemeinsame Sicherheit erreichen und bedarf internationaler Zusammenarbeit z.B. hinsichtlich der Bekämpfung von Fluchtursachen oder der Globalisierung von Sozialpolitik. Wir sind herausgefordert, im interkonfessionellen und -religiösen Dialog wie auch im Dialog zwischen unterschiedlichen Kulturen und politischen Systemen nach einem würdigen Lebensort für alle auf Gottes verletzlicher Erde zu suchen.

·    Wir erkennen in deutlicher Weise, welche Folgen der insbesondere von den Industrienationen verursachte ökologische Raubbau nach sich zieht. Die Sorge für die Umwelt, die wir als Schöpfung Gottes verstehen, bezieht sich auf die Ganzheit der Schöpfung und ist eng mit den Herausforderungen der sozialen Ungerechtigkeit verschränkt. Die Sorge für die Schöpfung Gottes ist wesentlicher Bestandteil im Streben nach einem "gerechten Frieden".
Als Christinnen und Christen stehen wir daher in der Verantwortung, die „vorrangige Option für den Schutz und die Förderung des Lebens“ als Grundorientierung unseres kirchlichen und gesellschaftlichen Handelns wahrzunehmen. Diese Option ist über alle wirtschaftlichen und machtpolitischen Interessen zu stellen. Wir wollen uns im Rahmen unserer Möglichkeiten für verbindliche ökologische und soziale Regulierung der Wirtschaft, national wie international, einsetzen. Konkret gehören dazu Leitplanken für den Wettbewerb (vgl. Zukunftsfähiges Deutschland in einer globalisierten Welt) und eine Weiterentwicklung der ökologischen Steuerreform.

·    Wo bleibt der Schutzschirm für die Armen? Während es im Zuge der Finanzkrise gelang enorme Summen zu mobilisieren, sind die Initiativen zur Bekämpfung von Armut (z.B. Millennium-Entwicklungsziele) ernüchternd. Wir wünschen uns, dass sich unsere Kirchen über nationale und konfessionelle Grenzen hinweg für eine tiefgehende Regulierung der weltweiten Finanzmärkte einsetzen. Als konkrete Maßnahmen werden u.a. von der ökumenischen Bewegung bereits seit Jahren in die Diskussion gebracht: eine strengere demokratische Kontrolle internationaler Finanzinstitutionen (indem sie einem UNO-Weltwirtschaftsrat unterstellt werden, der den gleichen Status hat wie der UNO-Sicherheitsrat) oder innovative Steuern (z.B. auf CO2 und Finanztransaktionen).

·    Neben dem politischen Engagement und der Advocacy-Arbeit der Kirchen trägt auch ein alternativer Lebensstil zum „gerechten Frieden“ bei. Unsere Alltagserfahrung zeigt uns, dass Veränderungen des Lebensstils nicht nur vom Willen der Einzelnen abhängen, sondern auch von Strukturen. Nur in Gemeinschaft ist es möglich, Strukturen entsprechend zu verändern. Christliche Spiritualität kann dabei gemeinschaftsstiftend sein und Kraft für ein ökologisches und solidarisches Handeln geben, das auch immer wieder angefragt und angefochten ist. Deshalb ist es wichtig, dass nicht nur die realen Möglichkeiten eines ökologisch verträglichen Lebensmittelkonsums, nachhaltiger Energienutzung und sozial fairem Handel gefördert werden, sondern dass diese Alltagsdimensionen von „gerechtem Frieden“ ins Zentrum des Selbstverständnisses unserer Kirchen gestellt werden. Daraus gehen dann auch Selbstverpflichtungen hervor, wie z.B. ökologisch und sozial gerechte Geldanlagen auf allen Ebenen der Kirche, eine Erhöhung des finanziellen Anteils kirchlicher Gelder an der Armutsbekämpfung, die geschwisterliche Teilung von Ressourcen in ökumenischen Partnerschaften, sowie eine echte Integration und Gleichberechtigung von Menschen unterschiedlicher sozialer, kultureller und konfessioneller Herkunft in unseren Kirchen.

3. Vorschläge zur Umsetzung
Wir regen einen breit angelegten ökumenischen Konsultationsprozess über grundsätzliche Fragen des Wirtschaftens und der Gestaltung einer öko-sozialen Gesellschaft in Deutschland an. Der Prozess selber kann schon Teil einer Antwort sein, indem er dem Auseinanderdriften der gesellschaftlichen Denkrichtungen entgegen wirkt, über soziale Spaltungen hinweg agiert und die Vielfalt von möglichen Antworten in fruchtbarer Weise zusammenbringt. In diesem Prozess sollen ganz unterschiedliche Menschen eine Stimme haben und ihre Sichtweisen einbringen: z.B. Menschen, die soziale Systeme tragen und solche, die sie in Anspruch nehmen; Menschen aus Ost- und Westdeutschland; Menschen mit und ohne deutscher Staatsangehörigkeit in Deutschland; Menschen aus ACK-Mitgliedskirchen und aus MigrantInnen-Gemeinden; Menschen aus Partnerkirchen; Menschen aus allen Generationen.
Ziel des Prozesses ist eine in der Breite getragene und klar in der Gesellschaft artikulierte Positionierung der Kirchen.

MEET kann sich als junges ökumenisches Netzwerk in Deutschland in einen solchen Konsultationsprozess einbringen:
·    Eine thematische Einbindung in die "Ökumenische Sommeruniversität" zum Thema „Gerechter Frieden“ vom 7.-13. August 2011 in der Ev. Akademie Neudietendorf.
·    Eine Tagung für junge Mitglieder aller christlichen Kirchen in Deutschland im 2. Halbjahr 2012. Als Kooperationspartner kämen, neben der EKD und DBK, andere ACK-Kirchen, evangelische und katholische Studierendengemeinden und Fakultäten, Jugendnetzwerke der Missionswerke, sowie außerkirchliche Netzwerke im Bereich des Themas, z.B. attac, in Betracht.
·    MEET kann auf seinem bis Sommer 2011 neu gestalteten Internetportal eine Online-Konsultation gezielt für junge Menschen einrichten.
·    MEET könnte seine Mitglieder dazu anregen, in ihren jeweiligen lokalen Kontexten, mit Gruppen aus verschiedenen gesellschaftlichen Milieus, zum Thema ins Gespräch zu kommen und nach gemeinsamen Handlungsmöglichkeiten zu suchen. Zu denken wäre insbesondere an diakonische Begegnungsstätten, Jugendtreffs, Orte sozialer Arbeit etc..

Christina Biere, Bergkamen
Almut Bretschneider-Felzmann, Gotha
Lioba Diez, Berlin
Annegreth Strümpfel, Frankfurt am Main
Stephan von Twardowski, Clausthal-Zellerfeld

2 Kommentare:

  1. Kommentar von Christina Biere:

    "Hallo Ihr!
    *Wie wird es jetzt weiter gehen?
    *Fragt Ihr nach Rückmeldung von Frau Coenen-Marx?
    *Soll das Koteam die Tagungsidee voran treiben oder wollt Ihr das machen?
    *Welche konkrete Unterstützung kann die EKD anbieten?
    *Wollen wir die Woltersburger Mühle anvisieren als Ort?
    *Was macht unsere Homepage - Ist für eine Online-Konsultation nicht facebook besser geeignet?
    *Wie wird das Thema in die Sommeruni eingebunden sein?"

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  2. Am 12. Mai wird es in Rendsburg eine sog. Armutskonferenz geben, zu der die Stadt einlädt. Die Initiative kam von meiner Kirchengemeinde. Jedes 3. Kind lebt hier von Hartz IV... Ich begrüße den Sozialwort-Prozess, weil er in Zukunft sicherlich auch für solche lokalen Zusammenkünfte und Verabredungen nützlich sein kann.
    Luise

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